13.09.2024
Erfahren Sie mehr über Digitale Zwillinge, ihre Vorteile und wie sie die Produktivität branchenübergreifend steigern.
Aktuellen Prognosen zufolge wird sich die Zahl der Internet-of-Things(IoT)-Geräte von 15,1 Milliarden im Jahr 2020 auf über 29 Milliarden im Jahr 2030 nahezu verdoppeln.
Dennoch gibt es viele Geräte, die schwierig zu digitalisieren sind, insbesondere große, empfindliche oder komplexe Anlagen.
Hier kommen Digitale Zwillinge, also virtuelle Modelle echter Objekte, ins Spiel. Sie ermöglichen es, die Leistung von Geräten aller Art zu überwachen und auftretende Probleme zu beheben. Digitale Zwillinge bieten gerade den Branchen große Vorteile, die sich der Digitalisierung noch verschließen.
Lukas Bertram, Senior Product Manager bei TeamViewer, konnte im Rahmen der Integration von TeamViewer Frontline in die Teamcenter-Software von Siemens viele Erfahrungen im Umgang mit dieser Technologie sammeln. Wir haben mit ihm über Digitale Zwillinge, aktuelle Anwendungsfälle und Vorteile sowie zukünftige Einsatzmöglichkeiten gesprochen.
Digitale Zwillinge sind zunächst einmal digitale Repräsentationen realer Objekte. Sie können aber auch ganze Systeme oder Prozesse abbilden. Digitale Zwillinge finden bislang in der Luft- und Raumfahrt, der Fertigung und im Bauwesen Anwendung, werden aber auch in anderen Branchen immer beliebter.
Dabei sind Digitale Zwillinge an sich nichts Neues. Bereits in den 60ern wurden sie von der NASA genutzt, um Raumfahrzeuge zu testen. Die enormen Probleme von Apollo 13 nach dem Start im Jahr 1970 sind noch heute Teil unseres kollektiven Gedächtnisses. Glücklicherweise konnte das Bodenpersonal anhand eines Vorläufers eines Digitalen Zwillings Lösungen finden und die Besatzung sicher wieder nach Hause bringen.
Der Begriff Digitaler Zwilling (englisch Digital Twin) selbst wurde erst 2002 geprägt und ist damit noch relativ jung. In den letzten Jahren haben immer mehr Unternehmen erkannt, dass sie diese Technologie brauchen, um, wie Lukas es ausdrückt, „wettbewerbsfähig in die Zukunft zu gehen“.
Im industriellen Bereich handelt es sich bei Digitalen Zwillingen um virtuelle Nachbildungen realer Geräte, Prozesse oder Systeme. Mittels Echtzeitdaten und Simulationen können sie dabei helfen, die Leistung zu optimieren, Probleme vorherzusagen oder die Entscheidungsfindung zu verbessern.
Die Integration von TeamViewer Frontline in das Teamcenter von Siemens, einer Plattform für das Produktlebenszyklus-Management (PLM), ermöglicht es, Digitale Zwillinge für Aftersales-Prozesse zu nutzen. Dazu gehören alle Dienstleistungen, die nach der Übergabe des Produkts an die Kundschaft anfallen.
Lukas beschreibt es so: Die PLM-Software enthielt 3D-Modelle des Produkts, die alle verwenden konnten, die daran arbeiteten. Siemens erkannte jedoch, dass die 3D-Modelle nur am Anfang des Produktlebenszyklus genutzt wurden. „Sobald das Produkt das Werk verließ und verkauft wurde“, so Lukas, „hatten diese Daten keine Bedeutung mehr“.
Dank TeamViewer Frontline können 3D-Daten nun auch nach dem Verkauf des Produkts herangezogen werden. Das erleichtert nicht nur die Fehlersuche, sondern spart dem Hersteller auch Kosten. Statt ein Serviceteam zu schicken, wird die Kundschaft nun mit Hilfe von Digitalen Zwillingen bei der Fehlerbehebung vor Ort unterstützt.
Digitale Zwillinge können in fast allen Branchen eingesetzt werden, in denen Produkte hergestellt werden. Besonders nützlich sind sie jedoch in Branchen mit niedrigen Margen, die mit großen Mengen an 3D-Daten arbeiten, wie Luft- und Raumfahrt, Transport und Infrastruktur.
In diesen Bereichen werden Digitale Zwillinge häufig auch zu Schulungszwecken eingesetzt. Und zwar zurecht, wie Lukas meint: „Unsere Kundschaft hat oder entwickelt in der Regel ziemlich große Maschinen oder Geräte. Nicht jeder Mitarbeitende kann daher direkt am realen Produkt geschult werden“.
Bei großen und teuren Maschinen, die sich oft am anderen Ende der Welt befinden, sind Schulungen an 3D-Modellen praktischer, schneller und wesentlich kostengünstiger.
Digitale Zwillinge können außerdem dabei helfen, Arbeitsabläufe zu standardisieren und zu optimieren. Dies wird derzeit von Hymer, einem deutschen Hersteller von Luxus-Wohnmobilen, erprobt (siehe Video unten).
Mit Hilfe von Digitalen Zwillingen entwickelt Hymer detailgetreue 3D-Modelle mit virtuellen Arbeitsanweisungen. So können Fahrzeugteile und Produktionsabläufe visualisiert werden. Aber nicht nur das: Die gleichen Daten werden auch für Schulungszwecke mit immersiven 3D-Workflows verwendet.
Bleiben wir bei Schulungen: Der größte Vorteil dabei ist, dass die Mitarbeitenden an einem Digitalen Zwilling lernen und arbeiten können, bei dem, wie Lukas sagt, „nichts kaputt gehen kann“.
„Die Leute können dank Augmented Reality an einem digitalen Objekt arbeiten, als befände sich der reale Gegenstand direkt vor ihnen“, erklärt er. „Sie können die Teile anfassen und bewegen und die Auswirkungen des eigenen Handelns so erleben, als wäre das Objekt wirklich da – jedoch in einer Umgebung, in der nichts schief gehen kann.“
Das ist viel wert. Denn gerade in hoch spezialisierten und kostenintensiven Branchen wäre es schlicht unmöglich – oder zumindest nicht ratsam – Beschäftigte an echten Projekten üben zu lassen.
Digitale Zwillinge veranschaulichen auch Zusammenhänge, die im wirklichen Leben nicht sichtbar sind. So kann ein Flugzeugtriebwerk im digitalen Raum einfach zerlegt und wieder zusammengesetzt werden. „Dies ermöglicht eine Art des Sehens, die im Alltag nicht möglich ist und“, so Lukas, „ein besseres Verständnis dessen, was Sie sehen“.
Ein weiterer Vorteil von Digitalen Zwillingen ist ihre Skalierbarkeit. Auch dies veranschaulicht Lukas anhand eines Flugzeugtriebwerks. Normalerweise muss das Personal, das an einem Triebwerk ausgebildet wird, auch tatsächlich davor stehen. Dies schränkt jedoch die Anzahl der Auszubildenden ein, die gleichzeitig anwesend sein können.
Nutzt man stattdessen einen Digitalen Zwilling, so Lukas, „können Hunderte Menschen rund um den Globus an diesem Triebwerk arbeiten, denn alle können es vor sich sehen, egal, wo sie sich befinden“. Der Vorteil: geringere Kosten und mehr Effizienz über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg.
Lukas weist auf zwei Herausforderungen hin, die Unternehmen davon abhalten könnten, Digitale Zwillinge einzusetzen.
Die erste Herausforderung besteht darin, dass die Daten des 3D-Modells unter Umständen vom realen Objekt abweichen können. Nehmen wir erneut unser Flugzeugtriebwerk als Beispiel. Wenn das Triebwerk abgeändert werden muss, die 3D-Daten aber nicht vollständig aktualisiert werden, kann diese Diskrepanz zu einem erheblichen manuellen Aufwand bei der Anpassung der Daten führen.
Eine weitere Herausforderung ist die Datensicherheit. Mit Digitalen Zwillingen wird, vereinfacht gesagt, Ihr geistiges Eigentum in 3D-Modelle übersetzt. Unternehmen sind verständlicherweise besorgt, dass diese Informationen nach außen dringen könnten.
Dafür gibt es jedoch eine einfache Lösung: Sie können selbst bestimmen, wieviele Informationen der digitale Zwilling enthalten soll. Oft genügt ein kleiner Ausschnitt oder ein bestimmter Funktionsumfang. Oder wie Lukas es formuliert: „Bei einer Schulung brauchen Sie vermutlich nicht jede Schraube“.
Neben klaren Sicherheitsrichtlinien schützen sich Unternehmen daher auch vor Datendiebstahl, indem sie nur notwendige Informationen in ihre Digitalen Zwillinge aufnehmen.
Man kann davon ausgehen, dass KI und Machine Learning auch bei der Erstellung Digitaler Zwillinge eine immer größere Rolle spielen werden. Digitale Zwillinge werden momentan noch weitgehend manuell erstellt. In den meisten Fällen werden sie mit Hilfe von PDF-Dateien generiert, die wiederum ebenfalls von Hand verfasst wurden.
In Zukunft, prognostiziert Lukas, wird ein Großteil dieser mühsamen Arbeit von der generativen KI übernommen werden. Möglicherweise „übernimmt diese die Eingaben aus den PDFs und erstellt daraus Schritt-für-Schritt-Anleitungen. Danach ordnet die KI das Ganze den richtigen Stellen im Digitalen Zwilling zu“.
KI wird laut Lukas auch bei der Fehlerkorrektur eine wichtige Rolle spielen: Sie sorgt dafür, dass bei der Interaktion mit dem digitalen Zwilling die richtigen Abläufe eingehalten werden. Das könnte sich positiv auf Fehlerquoten und Ausfallzeiten auswirken.
Lukas weist jedoch darauf hin, dass hardwareseitig noch viel zu tun ist. Während die Software bereits vorhanden ist, fehlt es für wirklich immersive Erlebnisse noch an hochwertiger Hardware wie kleinen und leichten Smart Glasses. Fortschritte in diesem Bereich können dazu beitragen, dass Digitale Zwillinge auch in Branchen, die der Digitalisierung noch zurückhaltend gegenüberstehen, breite Akzeptanz finden.
Hymer ist nur eines der Unternehmen, die Digitale Zwillinge dafür nutzen, Schulungen und Arbeitsabläufe zu optimieren. Tatsächlich werden Digitale Zwillinge bereits in großem Umfang auch in Branchen eingesetzt, die für die Digitalisierung traditionell schwer zu erreichen sind.
Eine der wichtigsten Branchen, mit denen Lukas arbeitet, ist die Luft- und Raumfahrt. Er erwähnt einen Triebwerkhersteller, der kürzlich ein Problem mit der Effizienz seiner Produkte entdeckt hatte. Infolgedessen mussten Fluggesellschaften weltweit ihre Triebwerke umrüsten.
Normalerweise geht das recht einfach. Aber in diesem Fall war es sehr viel komplizierter, da Hunderte von Teilen betroffen waren. Ein Serviceteam hätte für die Reparatur eines einzigen Triebwerks vier Tage gebraucht.
Jedes Flugzeug hat aber zwei Triebwerke, von denen immer nur eines repariert werden kann. Das hätte für jedes Flugzeug eine Standzeit von mindestens acht Tagen bedeutet – und damit riesige Verluste für die Fluggesellschaften.
Daher konnten es sich die Fluggesellschaften nicht leisten, die PDF-Anleitungen mühselig am Flughafen zu entziffern. Mit TeamViewer schulten sie ihr Wartungspersonal schnell an digitalen Modellen – ohne nach jeder Übungsreparatur den fehlerhaften Originalzustand wiederherstellen zu müssen, wie es bei echten Triebwerken nötig gewesen wäre. Auf diese Weise konnten die Fluggesellschaften wesentlich mehr Mitarbeitende schulen und die Triebwerke erheblich schneller umrüsten.
Die 3D-Daten immer griffbereit zu haben, wird auch in Zukunft von Vorteil sein. Statt darauf zu warten, dass der Hersteller einen Fehler behebt, können die Fluggesellschaften ihre eigenen Modelle konsultieren und sich sofort an die Arbeit machen.
Lukas rät Unternehmen, die Digitale Zwillinge einführen möchten dazu, von ihren individuellen Bedürfnissen und Anwendungsfällen auszugehen, anstatt krampfhaft nach einer Einsatzmöglichkeit für die neue Technologie zu suchen.
„Denken Sie an den Anwendungsfall und versuchen Sie nicht, es möglichst spektakulär aussehen zu lassen. Suchen Sie nach etwas, bei dem digitale Modelle den Prozess wirklich verbessern“. Andernfalls führen Sie eine neue Technologie ein, die niemand gerne nutzt und die Arbeit nur verlangsamt.
Wenn Sie einen überzeugenden Anwendungsfall haben, ist es in der Regel einfach, einen Digitalen Zwilling umzusetzen. Mit TeamViewer Frontline lassen sich Trainingsanleitungen im Prinzip genauso einfach erstellen wie bisher. Oder wie Lukas es ausdrückt: „Wenn Sie Präsentationen oder PDFs anfertigen können, können Sie auch Schulungen mit Digitalen Zwillingen erstellen“.
Falls Sie also vor einem Problem stehen, das mit Hilfe von 3D-Modellen gelöst werden kann, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, Digitale Zwillinge einzuführen.
Digitale Zwillinge sind die neue industrielle Revolution. Sie optimieren die Leistung von Produkten und helfen bei der Entscheidungsfindung. Dank der Integration von TeamViewer Frontline in die Teamcenter-Software von Siemens kann diese Technologie auch für Aftersales-Prozesse eingesetzt werden, um Probleme schneller zu lösen und Kosten zu senken.
Die KI wird hier zukünftig die Automatisierung weiter vorantreiben und Fehler reduzieren. Unternehmen wie Hymer nutzen Digitale Zwillinge schon heute, um Schulungen und Arbeitsabläufe zu optimieren.
Wie Lukas zu Recht feststellt, eignen sich Digitale Zwillinge nicht für jedes Unternehmen. Aber bei einem überzeugenden Anwendungsfall sind sie echte Gamechanger.
Unser Team unterstützt Sie gerne dabei, Ihr Unternehmen zu digitalisieren.